Das i-Tüpfelchen der Bildungsvielfalt in Bocholt

Es sind ambitionierte Ziele, die Christina Teroerde verfolgt. In zehn Jahren sieht sich die 17-Jährige als Führungskraft in einem Unternehmen. Doch bis dahin ist es buchstäblich noch ein weiter Weg. Denn die ehemalige Realschülerin will vorher noch die Welt erkunden, verschiedene Kulturen kennenlernen und in anderen Firmen tätig sein, um später dann mit Lebensfahrung zu punkten. „Einige Orte in Europa wie Paris oder London habe ich bereits kennengelernt und im Januar mache ich ein Auslandspraktikum bei einem Unternehmen in Irland“, freut sich die Jugendliche, die derzeit am Bocholter Wirtschaftsgymnasium auf die allgemeine Hochschulreife und auf das sogenannte IB-Diplom vorbereitet wird. IB steht für International Baccalaureate (internationales Abitur) – ein Abschluss, der den Absolventen eben jenes Tor zur Welt öffnet. Selbst Elite-Universitäten wie Harvard oder Oxford akzeptieren ihn ab einer bestimmten Punktzahl.

Das neue Bildungsarrangement des Berufskollegs am Wasserturm – seit Mai dieses Jahres zertifizierte „IB World School“ – ebnet erstmals zehn jungen Menschen diesen Weg und profitiert dabei vom IB-Netzwerk, das inzwischen in weltweit 142 Ländern vertreten ist – in Deutschland gibt es heute rund 70 „World Schools“. „Wer sich eine Führungsposition nach Studium oder Lehre wünscht, ist hier richtig“, sagt Elternpflegschaftsvorsitzende Andrea Bitters, deren 16-jährige Tochter Joyce die jüngste IB-Schülerin Bocholts ist.

Fleiß und soziale Kompetenz sind die Kernanforderungen des neuen bilingualen Bildungsganges, der sich nach Angaben des Schulleiters Michael Ebbers vornehmlich an engagierte, leistungsbereite und weltoffene Schüler richtet. „Sie sollten bereit dazu sein, auch Englisch als Arbeitssprache im Unterricht zu verwenden“, erklärt Ebbers. So stehen auf dem Stundenplan Fächer wie „Business Management“, „Mathematical Studies“ oder „Theory of Knowledge“. Durch Praktika erhielten die Schüler überdies die Möglichkeit, über den Tellerrand der Schule hinauszublicken.

Diese aber müssen nicht zwangsläufig im Ausland absolviert werden. „Viele meiner Mitschüler fahren nach England, Frankreich, Spanien oder sogar Australien. Ich möchte meine Praktika aber in Deutschland machen“, erzählt etwa Johannes Hengefeld, der sich seit seinem zwölften Lebensjahr beim Malteser Hilfsdienst engagiert und zuletzt bei dem Aufbau von drei Flüchtlingsunterkünften ausgeholfen hat. In einer solchen möchte der 17-Jährige im Rahmen des IB-Bildungsganges hospitieren. „Dort treffen ja auch mehrere Kulturen aufeinander und ich kann mich mit den Menschen auf Englisch unterhalten“, sagt er.

Im Rahmen seiner karitativen Freizeitaktivitäten beim Malteser Hilfsdienst sammelt Johannes Hengefeld darüber hinaus sogenannte CAS-Punkte, die für das IB-Diplom notwenig sind. CAS steht für Creativity, Action und Service. Es sind Aktivitäten außerhalb des Unterrichts in den Bereichen Soziales, Sport und Kultur, die vor allem Kompetenzen wie Selbstständigkeit, Team-, Kommunikationsfähigkeit und Empathie stärken sollen. Auch Christina Teroerde verknüpft ihre bisherigen Hobbys damit: „Ich bin bei der Schönstatt-Mädchenjugend in Borken als Gruppenleiterin aktiv und führe dort zum Beispiel Ferienspiele oder Treffen der Mädchen im Alter von neun bis 14 Jahren durch. Außerdem spiele ich Querflöte im Spielmannszug und für den sportlichen Teil habe ich mich dazu entschlossen, im nächsten Jahr am Citylauf teilzunehmen.“

Bildungsvielfalt
So warten alle zehn Schüler mit ihren individuellen Zukunftsvisionen auf, die sie am Montag souverän und locker dem Bundestagsabgeordneten Johannes Röring und elf Führungskräften hiesiger Unternehmen präsentierten. Jene Firmenvertereter unterzeichneten am selben Tag eine Kooperationsvereinbarung mit dem Berufskolleg am Wasserturm. Die Schüler werden dort während ihrer zweijährigen, schulischen Ausbildung Projektarbeiten realisieren, die Unternehmen übernehmen einen großen Teil ihrer Prüfungsgebühren.


Bildungsvielfalt
„Das ist das i-Tüpfelchen der Bildungsvielfalt in Bocholt. Deswegen unterstützen wir das sehr gerne“, sagt Renée Macrander-Yazdtschi, Geschäftsführerin der Gilde-Gruppe in Bocholt, die gleichzeitig einen Appell an die Schüler richtete: „Sammelt Erfahrungen in der Welt, aber kommt zurück. Wir brauchen euch hier.“ Damit sprach sie auch dem Bundestagsabgeordneten Johannes Röring aus der Seele, der auf etliche Unternehmen im Kreis Borken verwies, die das Tor zur Welt bereits betreten haben. „Tag für Tag merken wir, wie die Welt ein Dorf wird.“

 

Stadtkurier vom 17.11.2015

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